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Neuland BIM

Die beiden Experten Andreas Kohlhaas von der Beratungsfirma GSP Network und Dörthe Knefelkamp von WAGO diskutieren die Chancen und Herausforderungen des digitalen Bauens.

„BIM ist eine große Herausforderung“

Andreas Kohlhaas von der Beratungsfirma GSP Network sieht in „Building Information Modeling“ eine große Chance für die am Bau beteiligten Akteure. Damit sich die digitale Planung von Gebäuden durchsetzen kann, müssten Firmen wie WAGO aber noch viel Vorarbeit leisten.

Mehr Sicherheit und Kontrolle

Das Thema „Building Information Modeling“ (BIM) hat in den vergangenen drei Jahren eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen; eine klare Vorstellung der Auswirkungen von BIM auf die Planungs- und Baukultur gibt es bisher jedoch nicht. Grundsätzlich beschreibt BIM eine neue Methode, wie Akteure und Gewerke integral zusammenarbeiten. Grundlage ist ein aus vielen Fachmodellen zusammengesetztes Bauwerksinformationsmodell, das Informationen zur Gebäudestruktur, zu Bauteilen, zu eingeplanten Baustoffen und Produkten enthält, aus dem sich viele Anwendungen zum Beispiel zur Kosten- und Terminkontrolle ableiten lassen.

Die BIM-Methode kann über den gesamten Lebenszyklus oder auch nur in Teilprozessen implementiert werden. Von Big BIM ist die Rede, wenn 3D-Bauwerksmodelle fachlich oder räumlich strukturiert werden und ihr Datenaustausch sowie ihre Nutzung allen an Planung, Bau und Betrieb Beteiligten zur Verfügung stehen. BIM bietet somit das Potential, von der Vorplanung bis zum Ende der Nutzungszeit, alle relevanten grafischen und alphanumerischen Informationen für den jeweiligen Akteur zur richtigen Phase bereitzustellen.

Mehr Sicherheit und Kontrolle

Ein großer Vorteil der integralen modellbasierten Planung besteht in der Vermeidung von Doppelarbeiten, da Fachmodelle der Objektplaner direkt von Fachplanern für ihre Tätigkeit genutzt werden. Somit entfällt die bisher übliche Nachmodellierung.

Das erleichtert Plausibilitäts- und Kollisionsprüfungen sowie technische Berechnungen im Planungsprozess. So ist es möglich, die Nutzung und die Energieeffizienz des Gebäudes realitätsnah vor Baubeginn zu simulieren und Optimierungsmaßnahmen am digitalen Modell vorzunehmen. Das bauteilorientierte Bauwerksmodell in der BIM-Methode gewährt somit ein Höchstmaß an Planungssicherheit und Kostenkontrolle während des Bauprozesses und Betriebs.

Dennoch kann von einer flächendeckenden Implementierung von BIM in Deutschland bisher keine Rede sein. Während in Skandinavien, den Niederlanden und in Großbritannien bereits seit Jahren Vorschriften zur Nutzung von BIM bei öffentlichen Vergaben gelten, steht BIM in Deutschland noch am Anfang. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) zeigt, dass erst 29 Prozent der Akteure mit bauteilorientierten 3D-Modellen in ihrer Organisation arbeiten und dies auch nur weitere zehn Prozent in naher Zukunft planen. Dabei kann Little BIM, das heißt Plan- und Schnittableitung aus einem 3D-Modell, die Effizienz der Planung schon innerhalb einer Organisation enorm steigern. Noch geringer sind die Zahlen für Big BIM, den Austausch von Teil- und Fachmodellen auf Basis von offenen Standards wie IFC (Industrie Foundation Classes DIN EN ISO 16739). Die Integration der Bauablaufplanung und -simulation – als 4D-BIM bezeichnet – erfolgt erst bei sechs Prozent der Akteure und ist nur von weiteren sieben Prozent beabsichtigt.

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Andreas Kohlhaas, GSP Network

Verunsicherung bei Planern

Gemeinsame Richtlinien und Prozesse werden zurzeit noch von Organisationen wie dem VDI entwickelt, deren Richtlinien zum Teil im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden und zum Teil in diesem Jahr veröffentlicht werden sollen. Ein anderer Aspekt ist, dass über ISO, CEN und DIN eine internationale Richtlinie zur Umsetzung von BIM in Deutschland erwartet wird (DIN EN ISO 19650).

Daher fragen sich Planungsbüros und ausführende Unternehmen, ob sie für BIM ihre bestehende Software nutzen können oder in neue Software investieren sollten. Die Antwort hängt davon ab, ob die Softwarehersteller eine Datenaustauschschnittstelle implementiert haben, um Fachmodelle importieren, referenzieren und exportieren zu können. Dann können die Akteure den sogenannten Open-BIM-Ansatz verfolgen und offene Datenstandards, wie „Industry Foundation Classes“ (IFC DIN EN ISO 16739) oder De-Facto-Standards, wie „Green Building XML“ (gbXML), nutzen.

Auf die Digitalisierung vorbereiten

Viele Anforderungen an Softwareprodukte, die die BIM-Methode benötigt, werden gerade definiert oder ergeben sich aus den bereits laufenden BIM-Projekten. Viele Lücken in den digitalen Prozessketten können noch nicht geschlossen werden und warten auf ihre Umsetzung. Außerdem müssen Bauzulieferer die Daten ihrer Produkte entsprechend aufbereiten und zur Verarbeitung in der Planungssoftware zur Verfügung stellen.

Für Softwareanbieter wie für Bauzulieferer und Anbieter von Komponenten zur technischen Gebäudeausrüstung oder von elektrotechnischen Produkten ist das eine große Herausforderung, da Richtlinien und Normen zur Klassifizierung und des Datenaustausches noch in der Entstehungsphase sind.

Planern und Bauzulieferern sollte daher klar sein, dass BIM kein Wundermittel ist, das ad hoc alle Sorgen lösen kann. Dennoch sollten sich Unternehmen frühzeitig mit dem Thema, den Anforderungen, Prozessen und Verantwortlichkeiten beschäftigen und sich innerhalb der Branche austauschen, um den Digitalisierungsprozess voranzutreiben. Auch in Deutschland wird die Digitalisierung der Bauindustrie kommen. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat sich mit dem Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ im Jahr 2015 zur Nutzung von BIM bei öffentlichen Infrastrukturprojekten bekannt.

Zur Person

Andreas Kohlhaas gilt als ausgewiesener Experte für das „Building Information Modeling“ (BIM). 2013 gründete der Diplom-Physiker die Beratungsfirma GSP-Network GmbH, bei der er unter anderem den Vertrieb leitet. Kohlhaas wirkt in diversen BIM-Gremien mit und übernimmt verschiedene Lehrtätigkeiten zum Thema.

„Fester Bestandteil der WAGO-Strategie“

Voraussetzung für BIM ist, dass Standards angepasst und Produktdaten für digitale Prozesse optimiert werden. WAGO-Gebäudeexpertin Dörthe Knefelkamp sieht ihr Unternehmen hier als Vorreiter.

Als Hersteller von elektrotechnischen Komponenten sowie von Produkten und Lösungen für die Gebäudeautomation beschäftigt sich WAGO im Rahmen der Digitalisierung mit dem Thema „Building Information Modeling“ (BIM), um auch künftig den Anspruchsgruppen – Betreibern, Planern und ausführenden Unternehmen – gerecht zu werden.

Softwareanbieter, Architekten und Gremien treiben das Thema. In vielen Medien findet man Informationen. Häufig werden Beispiele auf Basis von Architektur- und Tragwerksmodellen gezeigt. Der Begriff Haustechnik fasst die gesamte technische Ausstattung des Gebäudes zusammen. Hier finden sich viele Gewerke wieder, die unterschiedlich weit in der Umsetzung der BIM-Anforderungen beziehungsweise in der Normung der Datenformate und Inhalte für ihr Gewerk sind.

Die Gewerke Gebäudeautomation und Elektroinstallation sind noch in den Kinderschuhen. Somit ist es für WAGO als Anbieter und Bauzulieferer von Produkten für diese Gewerke eine Herausforderung, zum jetzigen Zeitpunkt die technischen Daten für BIM-Prozesse zu optimieren.

Im internationalen Kontext sind unterschiedliche Implementierungstiefen von BIM zu erkennen. Einige Länder, wie die Schweiz, die Niederlande und Deutschland, wünschen eine hohe Implementierungstiefe. Somit ist es im digitalen Referenzmodell möglich, neben Kollisionsprüfungen auch Fachmodelle mit geeignetem Informationsgehalt für fachspezifische Funktions- und Qualitätsprüfungen abzuleiten oder diese mit dem Referenzmodell zu verbinden.

Offen für beide BIM-Ansätze

Für WAGO ist und bleibt BIM daher ein fester Bestandteil seiner Digitalisierungsstrategie. Allerdings sind damit Herausforderungen verbunden: Gemäß den Anforderungen im Rahmen der Digitalisierung muss WAGO als Anbieter seine technischen Produktdaten transparent halten und neue Attribute, die sich aus der Entwicklung der Spezifikationen ergeben, pflegen und bereitstellen.

Hierfür gibt es zwei Wege: zum einen den Closed-BIM-Ansatz, den einige Softwareanbieter erfolgreich verfolgen. Dazu zählt zum Beispiel Autodesk mit Revit, der momentan in Europa die höchste Marktdurchdringung hat. In Revit ist es Anbietern möglich, ihre digitalen Informationen zu ihren Produkten im sogenannten RFA-Format bereitzustellen.

Die Vorteile von Software, die einen Closed-BIMAnsatz verfolgt werden, sind die optimierten Schnittstellen und der damit minimierte Datenverlust durch Medienbrüche. Die technischen Informationen für die Produkte sind vom Hersteller zu definieren und müssen nicht zwangsläufig einer Norm entsprechen. Da Revit momentan eine sehr hohe Verbreitung hat, stellt auch WAGO seine digitalen Informationen für Produkte im RFA-Format auf seinem PARTcommunity-Server zur Verfügung.

Der zweite Weg führt über Open BIM. Es gibt diverse Software, die diesen Ansatz und somit den Datenaustausch über offene Schnittstellen, wie „Industry Foundation Classes“ (IFC) oder „Green Building XML“ (gbXML), verfolgen. Offene, standardisierte Schnittstellen und Formate bieten den Vorteil, dass man sich als Planer nicht auf eine Software festlegen muss und dass vor allem die Daten unabhängig vom Hersteller einer Struktur und einem Format entsprechen.

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Dörthe Knefelkamp, WAGO

Aktiv bei Standardanpassungen

Aktuell werden die Standards (IFC) für die technische Gebäudeausrüstung noch entsprechend den Anforderungen der Implementierungstiefe angepasst. Hier unterstützt WAGO im Rahmen des VDMA/VDI-Arbeitskreises „BIM und TGA“ die Erweiterung der VDI 3805 „Produktdatenaustausch in der technischen Gebäudeausrüstung“ um ein Blatt für die Gebäudeautomation. Die Ergebnisse dieses Arbeitskreises sollen über den VDI in die ISO 16757 „Product Data for Building Services System Model“ einfließen. Für die Elektrotechnik gibt es im Augenblick noch keinen vergleichbaren Arbeitskreis für die Anpassung der Standards an die gewünschte Implementierungstiefe. Doch die Idee dafür ist bereits geboren.

WAGO wird beide BIM-Ansätze weiter verfolgen und im Austausch mit seinen Kunden auch die Anforderungen aus der Praxis aufnehmen und in die weitere Ausrichtung zu BIM einfließen lassen. Sicher wird BIM die gesamte Baubranche stark beeinflussen und einen Umbruch erzeugen. WAGO wird den weiteren Prozess wie auch unsere Kunden bei der Implementierung vom BIM unterstützen.

Zur Person

Dörthe Knefelkamp, Market-Managerin Gebäudeinstallation, begann 1998 bei WAGO. Nach dem Studium „Wirtschaftsingenieurwesen Elektrotechnik“ im Unternehmen arbeitete sie im Projektservice International, bevor sie 2010 in eine Klimaschutzagentur wechselte. Seit 2015 ist sie wieder zurück bei WAGO und betreut im Market-Management Gebäude die Schwerpunkte WINSTA® und Energiemanagement.

Die Facetten des BIM

BIM ist nicht gleich BIM und differenziert sich in verschiedene Methoden:

  • Open BIM ist gekennzeichnet durch den Austausch von BIM-Dateien zwischen den Disziplinen, unabhängig von der verwendeten BIM-Software. Dies geschieht durch die Verwendung offener Schnittstellen und fördert die Transparenz und den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Modellen.
  • Beim Closed BIM arbeiten alle Planer mit der gleichen Softwarelösung an einem Projekt.
  • Von Big BIM ist die Rede, wenn 3D-Bauwerksmodelle fachlich oder räumlich strukturiert werden und ihr Datenaustausch sowie ihre Nutzung allen an Planung, Bau und Betrieb Beteiligten zur Verfügung stehen.
  • Little BIM hingegen beschreibt die Anwendung der BIM-Methode beschränkt auf eine Disziplin und ist damit eine Insellösung. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Erstellung eines virtuellen Architekturmodells ohne die Möglichkeit, die Daten an eine nächste Disziplin weiterzugeben.

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