Interview
„Was auf die Betreiber und Planer von Gebäuden zukommt, bleibt vage“

Die EU treibt das Thema Energieeffizienz im Gebäude weiter voran – und plant dabei, den Stellenwert von Steuerungstechnik und Automation zu erhöhen. Zu Recht, meint Dr. Peter Hug, Geschäftsführer des Fachverbandes Gebäudeautomation und Sprecher des Forums Gebäudetechnik im VDMA.

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Die EU-Richtlinie für energieeffiziente Gebäude (EPBD) soll in 2017 ein Update erfahren. Welche wesentlichen Änderungen sind im Gespräch?

Erfreulich ist zunächst einmal, dass die EU-Kommission das Potential der Gebäudeautomation in Sachen Energieeffizienz erkannt hat. Während in ersten Entwürfen auch Nachrüstungen im Gebäudebestand gefordert waren, sind im aktuell veröffentlichten Vorschlag der EU-Kommission jetzt Automatisierungstechnologien quasi als Ersatz für Inspektionen möglich. Dies ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, aber Gebäudeautomation kann über Monitoring und Analysefunktionen zahlreiche Hinweise auf Fehlfunktionen und Optimierungsmöglichkeiten in der Anlagentechnik liefern. Es gibt jedoch auch vehemente Gegenstimmen gegen den Kommissionsentwurf mit deutlichen Hinweisen etwa auf das Subsidiaritätsprinzip. Das heißt, Nationalstaaten wollen die Vorgaben selbst gestalten und dies nicht der EU überlassen. Auch im Detail gibt es noch viele Diskussionspunkte, nicht nur die Gebäudeautomation betreffend, die zwischen Parlament, Rat und Kommission diskutiert werden.

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Gebäudeautomation kann über Monitoring und Analysefunktionen zahlreiche Hinweise auf Fehlfunktionen und Optimierungsmöglichkeiten in der Anlagentechnik liefern.

Dr. Peter Hug

In dem Vorschlag der EU-Kommission heißt es, der Entwurf präsentiere Gebäudeautomations- und Steuerungssysteme als Alternative zu Inspektionen. Ist also davon auszugehen, dass die Neuerungen der EPBD den Stellenwert von Automatisierungslösungen in Gebäuden erhöht?

Nachdem große Teile der Anlagentechnik im Gebäude durch Mindestanforderungen oder Labels geregelt sind und die Gebäudehüllen, zumindest im Neubau, sehr dicht und weitgehend sehr gut isoliert sind, liegen die großen Effizienzpotentiale in der Steuerungstechnik und Gebäudeautomation. Ich denke die Politik hat dies – auch dank ausgedehnter Informationskampagnen unserer Branchenverbände – erkannt.

Welchen Beitrag zur Effizienzsteigerung von bestehenden Gebäuden können Automatisierungs- und Steuerungssysteme denn leisten?

In der europäischen Norm EN 15232 wird der Zusammenhang zwischen Gebäudeautomation und Energieeffizienz modellhaft nachgewiesen. So kann zum Beispiel in einem vollautomatisierten Bürogebäude gegenüber einem Referenzgebäude mit Standardausstattung 30 % thermische und 13 % elektrische Energie durch Automatisierung eingespart werden.

Heißt das, wirklich nachhaltig wird unser Gebäudebestand nur durch den Einsatz von Automation?

In jedem Fall liefert die Gebäudeautomation über Monitoring-Funktionen die Informationen, die es braucht, um Gebäude zu steuern. Was ich nicht weiß, kann ich auch nicht steuern.

Was ich nicht weiß, kann ich auch nicht steuern.

Dr. Peter Hug

Der Kommissionsentwurf stellt einen sogenannten „smartness indicator“ vor, der als Maß dafür dienen soll, wie gut ein Gebäude dazu in der Lage ist mit dem Stromnetz zu interagieren. Warum ist diese Integration unserer Gebäude in intelligente Stromnetze wichtig?

Der „smartness indicator“ ist noch gar nicht definiert. So es ihn geben wird, wird er sicherlich auch Gebäudeautomation und Mess-, Steuer- und Regelungstechnik berücksichtigen. Wir gehen davon aus, dass der „smartness indicator“ kein eigenständiges Label, sondern eine Kennziffer auf den eh vorhandenen Energieausweisen sein wird.

In Deutschland haben Unternehmen momentan die Wahl, ob Sie den Anforderungen der europäischen Energieeffizienzrichtlinie durch ein Energieaudit oder ein Energiemanagementsystem nachkommen. Derartige Audits werden jedoch häufig als zu wenig wirkungsvoll kritisiert. Warum?

Weil die Audits nicht mit Nachrüstverpflichtungen verbunden sind. Das Audit stellt lediglich die Information über den Istzustand dar. Niemand wird dadurch gezwungen, an diesem Zustand etwas zu verändern. Ich denke, man sollte es in den meisten Fällen auch wirklich den Investoren überlassen, wie sie ihre Mittel einsetzen.

Doch die tun bislang scheinbar zu wenig. Die Sanierungsquote soll weiter erhöht werden, um die Klimaziele zu erreichen …

Die Sanierungsquote zu erhöhen, ist ein hehres Ziel. Die Kernfrage ist aber doch die Prioritäten der Investoren. Im Falle von Nichtwohngebäuden und professionellen Investitionen sind die Amortisationszeiten von Investitionen in die eigene Energieeffizienz im Vergleich zu den Alternativen oft schlicht zu lang. Im privaten Bereich fehlt es an drei Dingen: Einmal ist die Finanzierung für viele, insbesondere ältere Hausbesitzer, eine Herausforderung, da sie die Liquidität einschränkt und sich nur sehr langfristig rechnet. Darüber hinaus sind die Rahmenbedingungen und der Förderdschungel in Deutschland meines Erachtens eher geeignet, Attentismus zu erzeugen als einen Schub in Sachen Sanierungen. Und drittens kommt noch hinzu, dass in Deutschland der Anteil der Bürger, die im Eigentum leben, im Vergleich mit anderen europäischen Staaten sehr niedrig ist. Dies führt auch eher zu einer abgeschwächten Nachfrage nach Investitionen in Energieeffizienz. In jedem Fall aber bieten die Audits Anhaltspunkte über Verbesserungspotentiale. Derzeit werden bundesweit sogenannte Energieeffizienz-Netzwerke gegründet. Das sind Gruppen von Unternehmensvertretern, die sich über Energieeffizienzmaßnahmen austauschen (siehe Kasten). Der VDMA betreut drei solcher Netzwerke und baut viele weitere auf. Hier werden Auditinformationen verarbeitet und Strategien ausgetauscht. Energieeffizienz ist am Ende nicht nur Selbstzweck, sondern auch ein gutes Mittel, das eigene Image zu definieren.

Die Bundesregierung plant noch für diese Legislaturperiode eine Novelle des Energieeinsparrechts. Darin sollen das Energieeinspargesetz (EnEG), die Energieeinsparverordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) zusammengeführt werden. Warum ist diese Neuerung notwendig?

Die Behandlung zusammengehöriger Themen in unterschiedlichen Gesetzeswerken war lange ein Kritikpunkt, der von VDMA und anderen Verbänden vorgetragen wurde. Gebäudetechnik und in Gebäude verbaute Technologie für erneuerbare Energien müssen zusammen betrachtet werden. Deshalb begrüßen wir die Zusammenführung und sehen schon in den Entwürfen, dass sich Widersprüche aufgelöst haben. Das ist sehr erfreulich.

Man kann jedem Gebäudebetreiber nur raten, sein System so analysieren zu lassen, um Schwachstellen aufzudecken und Verbesserungen anzustoßen.

Dr. Peter Hug

Welche Änderungen für Betreiber von großen Liegenschaften und für Planer sind heute schon absehbar?

Neben EPBD und Ökodesign-Richtlinie beobachten wir auch die EU-Energieeffizienzrichtlinie sehr genau. Diese wurde in ihrer Urfassung zur Zeit der europäischen Wirtschaftskrise in 2009 fertiggestellt. Damals konnte man sich nicht zu verbindlichen Zielen für die Nationalstaaten durchringen. Die Neufassung soll den Mitgliedsstaaten jetzt ermöglichen, verpflichtende Ziele zu setzen oder alternative Wege zu beschreiten. Wir schätzen für Deutschland, dass man die alten Pfade nicht verlassen und weiter auf Förderungen der Energieeffizienzinvestitionen bauen wird. Die Effizienzziele wurden fortgeschrieben und um 3 Prozentpunkte erhöht. Was konkret auf die Betreiber und Planer zukommt, bleibt vage. Sicher ist, dass beispielsweise das KfW-Förderprogramm für Nichtwohngebäude heute schon interessante Anreize setzt, da derzeit alle Investitionen in Gebäudeautomation im Bestand gefördert werden (www.kfw.de).

Der Branchenverband eu.bac bietet eine Systematik zur hersteller- und gewerkeübergreifenden Effizienzbewertung von Gebäuden. Wie spiegeln sich die höheren Anforderungen aus der DIN EN 15232 im Bewertungsschema wieder?

Das „eu.bac System“ zur Effizienzbewertung von Gebäudeautomationssystemen wird derzeit an die Neufassung der Norm angepasst. Generell übersetzt das System die in der Norm in 4 Klassen eingeteilten Automationssysteme in eine Skala von 0 bis 100 Punkten. Dies geschieht über ein Punktesystem, das in der Analyse auch Informationen zu Verbesserungspotentialen gibt. Das „eu.bac System“ bietet die einzigartige Möglichkeit, herstellerneutrale und standardisierte Informationen über ein Gebäudeautomationssystem zu gewinnen. Man kann jedem Gebäudebetreiber nur raten, sein System so analysieren zu lassen, um Schwachstellen aufzudecken und Verbesserungen anzustoßen.

Welche gesetzlichen Entwicklungen sehen Sie, die in den nächsten Jahren Auswirkungen auf die Energieeffizienz unseres Gebäudebestandes haben werden?

Im aktuelle Arbeitsplan für die Ökodesign-Richtlinie sind Gebäudeautomationssysteme explizit aufgeführt. Das bedeutet aber noch nicht, dass es darin langfristig eine Verordnung für Gebäudeautomation geben wird. Sicher ist aber, dass eine Vorstudie geschrieben wird, deren Ergebnisse relativ schnell verfügbar sein sollen. Diese Ergebnisse werden in den Gesetzgebungsprozess auf die eine oder andere Weise einfließen. Herausfordernd sind die enge Verzahnung der Gebäudeautomation mit den anderen Gewerken und die Tatsache, dass Teile der Mess-, Steuer- und Regelungstechnik bereits in anderen Verordnungen für Heizung, Lüftungssysteme behandelt sind. Damit sind die Systemgrenzen schwierig zu ziehen.

Und technologische Entwicklungen?

Bezüglich neuer Technologien ist „Internet of Things“ (IoT) derzeit das Buzzword. Dieser Trend wird sicher zu neuen Entwicklungen in den Systemen und Umwälzungen in den Märkten führen. Werden alle Produkte über ihre IP-Adressen erreichbar, dann ändert das aber noch nichts am Know-how, das ich vor Ort benötige, um auch die richtigen Produkte an der richtigen Stelle zu positionieren und zu adressieren. Das zweite große Thema ist „Building Information Modelling“, kurz BIM. BIM-Modelle werden sich in Zukunft von mehr oder weniger reinen 3D-Modellen zur frühzeitigen Kollisionsvermeidung zu Simulationsmodellen für den Gebäudebetrieb weiterentwickeln. Das erhöht die Transparenz und hebt das Thema Intelligenz im Gebäude nochmals auf eine neue Stufe. Hier gilt es für die Gebäudeautomatisierer, die richtigen Geschäftsmodelle für Dienstleistungen im Gebäude der Zukunft zu entwickeln.

Herr Dr. Hug, vielen Dank für das Gespräch.

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