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Gemeinsames Forschungsprojekt mit dem Fraunhofer IPA

2. Juni 2021
Automatisierte Tragschienenmontage mit Robotern

Schlau programmierte Roboter anstelle einer kostspieligen Anlage für die automatisierte Tragschienenmontage: Die Software „pitasc“ vom Fraunhofer IPA macht dies möglich. Dank ihr lassen sich Roboter mithilfe einzelner Programmbausteine kraftgeregelt programmieren. Wie eine Anwendung für die Tragschienenmontage möglich ist, zeigt ein gemeinsames Forschungsprojekt des Instituts mit WAGO.


Ein Leichtbauroboter nimmt ein Kunststoffbauteil mit seinem Zweifingergreifer auf, führt es zu der Komponente, auf die das Bauteil aufgesteckt werden soll, und kann es mithilfe einer kraftgeregelten Einkippbewegung fest einrasten lassen. Sollte die Montageanwendung einmal neu angeordnet werden, ist kein Neuprogrammieren der Bewegungen nötig. Die Programmierung erfolgt werkstückbezogen und die Kraftregelung kann Bauteil- und Lagetoleranzen geschickt kompensieren. Die beschriebene Anwendung haben Forschende am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA umgesetzt. Bereits seit vielen Jahren arbeitet das Institut an Lösungen für eine voll- oder teilautomatisierte Montage. Denn bekanntlich ist dieser Produktionsschritt derjenige, der noch weitgehend manuell erfolgt: Im Jahr 2020 arbeitete nur etwa jeder zehnte aller weltweit verkauften Roboter in der Montage. Herausforderungen wie kleine Losgrößen, eine hohe Variantenvielfalt und zahlreiche individuelle Prozesse machen es oft schwer, eine wirtschaftliche Montageautomatisierung umzusetzen.

Ihre Vorteile:

  • Innovativ: Automatisierte Tragschienenmontage mit Robotern in der Praxis

  • Einzigartig: TOPJOB® S Reihenklemmen bei der automatisierten Bestückung von Schaltschränken im Einsatz

  • Einfach: Manuelle Arbeitsschritte fallen komplett weg und sparen Zeit

  • Vielfältig: durch Variantenvielfalt bei Reihenklemmen kann die Montage mit einem Roboter strukturiert durchgeführt werden

Standardroboter können Tragschienen bestücken, und das selbst bei Klemmen mit komplexen Bauformen.

Michael Dörbaum, Teamleiter Produktmanagement Schaltschrankkomponenten bei WAGO

Vollautomatisierung als Lösung?

Vor ähnlichen Herausforderungen stehen auch viele Schaltschrankbauer. Als Lösungspartner im Schaltschrankbau kennen die WAGO Experten diese Probleme aus zahlreichen Kundengesprächen. Ein Beispiel dafür ist die Bestückung von Schaltschränken mit Schienen, Komponenten und Drähten, denn dieser Prozess ist geprägt durch viele manuelle Arbeitsschritte. Prozesse sind häufig zeitaufwendig, teuer und fehleranfällig. Allein 500 Verbindungen sind in einem durchschnittlichen Schaltschrank für die Steuerungstechnik verlegt, mit unterschiedlichen Farben, Querschnitten und Konfektionierungen.

Um bestehende Prozesse zu optimieren, ist die Vollautomatisierung nicht immer die passende Lösung für jede Anforderung. Hier gibt es verschiedene Punkte zu berücksichtigen.
Zwar bringt eine Automatisierung eindeutige Prozesse und eine Arbeitsentlastung der Fachkräfte mit sich, jedoch ist diese mit höheren Kosten verbunden und rechnet sich erst bei großen Stückzahlen. Außerdem passen spezialisierte Bestückungsautomaten nicht immer zu den individuellen Anforderungen. Wie WAGO aus Erfahrung weiß, reicht es häufig aber schon aus, Prozesse zu vereinfachen oder zu digitalisieren, um Fachkräfte zu entlasten.

Ist dennoch eine Automatisierung notwendig, kann die Nutzung von handelsüblichen Roboterarmen eine Lösung sein. Die Vorteile von Standardroboterarmen liegen auf der Hand: Sie sind vergleichsweise günstig sowie flexibel einsetz- und erweiterbar. Eine Frage, die dafür sicher beantwortet werden muss: Können Standardroboter überhaupt Tragschienen bestücken? „Meine Antwort dazu: Ja, das können sie, und das selbst bei Klemmen mit komplexen Bauformen”, sagt Michael Dörbaum, Teamleiter Produktmanagement Schaltschrankkomponenten bei WAGO.

Um auszuloten, inwieweit mit Standardroboterhardware und einer ausgeklügelten Software eine solche automatisierte Bestückung von Tragschienen mit Reihenklemmen möglich ist, haben das Unternehmen und das Fraunhofer IPA in einem gemeinsamen Projekt ein Testszenario für Tragschienenbestückung aufgesetzt: Ein Roboter sollte verschiedene WAGO Reihenklemmen TOPJOB® S auf Tragschienen aufrasten. Es wurden Reihenklemmen TOPJOB® S unterschiedlicher Größen eingesetzt (Nennquerschnittsbereich 1 mm² bis 16 mm²) und mit teilweise komplexen Bauformen, wenn es um Mehrstockklemmen oder Gebäudeinstallationsklemmen ging. Auch Klemmen mit leitfähiger Tragschienenkontaktierung wurden getestet, die durch ihren PE-Fuß etwas schwerer aufzurasten sind. Ein weiteres Kriterium im Test war die Packungsdichte der montierten Klemmen, da diese für das spätere Beschriften zum Beispiel mit dem WAGO Endlosbeschriftungsstreifen ebenso dicht wie bei manueller Montage sein muss.

Gemeinsam testeten die Firma Wago und das Fraunhofer IPA in einem Forschungsprojekt, inwieweit sich Standard-Roboterhardware auch für das Aufrasten von Reihenklemmen eignet.

Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez.

Montageaufgaben strukturiert programmieren/Software als Baukastensystem

Das Fraunhofer IPA bietet für herausfordernde Montageaufgaben dieser Art – sowohl hinsichtlich der Variantenvielfalt der Klemmen als auch hinsichtlich des anspruchsvollen Steckprozesses – seinen Softwarebaukasten „pitasc“. Er ermöglicht, Montageanwendungen strukturiert zu programmieren. „Bisher war es erforderlich, ein Robotersystem für jede Anwendung weitgehend neu einzurichten. Mit unserer Software sind einmal modellierte Aufgaben schnell auf neue Produktvarianten, in diesem Fall eben die Klemmen, auf neue Produkte und sogar auf Roboter anderer Hersteller übertragbar“, sagt Lorenz Halt, Wissenschaftler am Fraunhofer IPA und Mitentwickler von pitasc. Die Software ist in Form eines Baukastensystems strukturiert: Sie enthält viele fertig einsetzbare und wiederverwendbare Programmbausteine, die bei der Einrichtung eines Robotersystems individuell zusammengestellt, parametriert und eingesetzt werden können.

pitasc nutzt zudem Sensorik, um Prozesskräfte aktiv regeln zu können. Für den WAGO Test kam der Roboter UR10e mit bereits integrierter Kraftsensorik zum Einsatz. „So kann das Robotersystem Bauteil- und Lagetoleranzen ausgleichen und setzt keine zu hohen Kräfte ein“, erklärt Halt. „Das schont die empfindlichen Bauteile.“ Da der Prozess aus Sicht der Werkstücke programmiert wird, ist das einmal erstellte Programm leicht an Varianten anpassbar, weil nur bestimmte Parameter wie Prozesskräfte und Greifpositionen geändert werden müssen. Nicht zuletzt ist die Software roboterherstellerunabhängig.

Mit unserer Software sind einmal modellierte Aufgaben schnell auf neue Produktvarianten, in diesem Fall eben die Klemmen, auf neue Produkte und sogar auf Roboter anderer Hersteller übertragbar.

Lorenz Halt, Wissenschaftler am Fraunhofer IPA und Mitentwickler von pitasc

Erfolgreiche Montage mit Robotern

Die durchgeführten Tests mit den WAGO Reihenklemmen verliefen erfolgreich. Der eingesetzte Roboter konnte mit pitasc alle Klemmen erfolgreich stecken. Die Anpassung der Software an die verschiedenen Varianten der Klemmen, einschließlich komplexerer Bauformen wie Doppelstock- oder PE-Klemmen, konnten die Projektpartner einfach mithilfe der Programmparameter umsetzen. Es war keine aufwendige Umprogrammierung erforderlich. Selbst bei PE-Klemmen ließ sich zudem eine hohe Packungsdichte erreichen, indem der Roboter kraftgeregelt gegen das bereits montierte Pack drückte.

Diese Testergebnisse zeigen, dass eine Montageautomatisierung für das Bestücken von Tragschienen auch mithilfe von Roboter und Klemmen „von der Stange“ technisch möglich ist, sofern die eingesetzte Software die Herausforderungen der Anwendung meistern kann. „Unsere Erfahrungen mit Kunden verdeutlichen, dass bei der Automatisierung der Schaltschrankfertigung viele individuelle Anforderungen berücksichtigt werden müssen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lösung einfach sein kann, wenn Standardhardware einsetzbar ist“, erklärt Dörbaum.
Der Vorteil einer solchen Lösung ist, dass die Investitionskosten für die Anwendung überschaubar bleiben und sie zugleich flexibel ist. Die Variantenvielfalt lässt sich ebenfalls mithilfe der Software sinnvoll in den Griff bekommen. Gleichwohl bedarf es für den industriellen Einsatz einer solchen Anwendung noch weiterer Arbeiten, denn erfahrungsgemäß unterscheiden sich die Anforderungen je nach Schaltschrankbauer erheblich im Hinblick auf die Anzahl der verschiedenen Komponenten, die Durchlaufzeiten und die Integration verschiedener Prozessschritte.
Die Ausführungen zeigen: Es gibt nicht den einen Weg zur Automatisierung der Schaltschrankfertigung. Aufbauend auf dem hier gezeigten Ansatz mit „Standardrobotern und -klemmen“ sind noch viele weitere Fragen zu beantworten. Kann zum Beispiel auch direkt in Kleinverteilern bestückt und anschließend verdrahtet werden? Wie werden Klemmen optimal zugeführt? „Das erfolgreich getestete, roboterbasierte Bestücken von Tragschienen mit der IPA-Software ist ein guter Startpunkt für weitere Kooperationen auf diesem Gebiet der industrienahen Forschung und weiteren Entwicklungen hin zur produktiven Nutzung“, so Dörbaum.

Autoreninformationen:

Frank Nägele ist Leiter der Gruppe Roboterprogrammierung und -regelung am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA; frank.naegele@ipa.fraunhofer.de; +49 711 9701063

WAGO Kontakte:
Burkhard Niemann ist Produkt Manager für Schaltschrankkomponenten und Lena Wilkening ist Communication Manager

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