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Interview
„Von Land aus lässt sich nur bedingt Energie sparen."

Es kommt auf die Besatzung an: Interview mit Hannah Ohorn, Superintendentin bei der Reederei Hamburg Süd.

10.500 Container sind es – dann ist die Cap San Raphael voll beladen. Seit fünf Jahren ist das Schiff für die Reederei Hamburg Süd auf den Weltmeeren unterwegs. Je nach Beladung, Strecke und Wettbedingungen verbraucht das mit fünf baugleichen Schwestern größte der 46 Schiffe zählenden roten Flotte der Hamburg Süd zwischen 90 bis 100 Tonnen Kraftstoff am Tag. Für Hannah Ohorn, Superintendentin bei der Hamburger Traditionsreederei, steckt in dieser Menge reichlich Potential für Einsparungen ohne Komfortverlust. Die Arbeit rechnet sich angesichts des Preises von mehr als 400 Dollar pro Tonne. Welche Maßnahmen die Reederei – heute Mitglied der dänischen Maersk-Gruppe – umsetzt und wie sie die Besatzung auf See in die Projekte einbindet, darüber haben wir uns in Hamburg mit Hannah Ohorn auf der Cap San Raphael unterhalten.

Jetzt stehen wir auf der Brücke eines Containerschiffes, das zu den modernsten bei Hamburg Süd zählt. Gibt es hier überhaupt noch Möglichkeiten, effizienter unterwegs zu sein?

Ohorn: Ja – auf jeden Fall. Ein Ziel unserer Energieeffizienzprojekte lautet etwa, jeden Tag eine Tonne Kraftstoff pro Schiff einzusparen. Das lässt sich recht einfach realisieren, wenn man an Bord genau hinschaut und sich Mühe gibt.

Wo schauen Sie denn genau hin?

Ohorn: Nehmen wir als Beispiel die See wasserkühlpumpen. Die versorgen in mehreren Kreisläufen während der Fahrt die Motoren mit der notwendigen Menge an Kühlwasser. Liegt dieses Schiff im Hafen oder fährt der Hauptmotor mit reduzierter Last, ist der Kühlbedarf deutlich geringer und es lohnt sich, Pumpen abzuschalten. Daran müssen sie nach dem Anl egen aber auch denken und zu den Pumpen g ehen, um sie abzuschalten. Dabei gilt es dann auch noch, das ein oder andere Ventil zu schließen, um Druckverluste zu verhindern.

Ist das viel Arbeit?

Ohorn: Nein, aber es ist eine zusätzliche Arbeit, die irgendwann nervt. Ich kenne das selbst von meiner aktiven Zeit an Bord. Wenn Sie als Reederei solche Tätigkeiten vorsehen, um die Energieeffizienz zu steigern, dann muss die Besatzung den Sinn und Zweck dahinter verstehen. Sie müssen Rechnungen aufstellen, wieviel die Crew einspart, wenn sie im Hafen Pumpen abschaltet. Solche Handgriffe sind es, die über den Tag hinweg schnell eine Tonne weniger Kraftstoff bedeuten.

Belohnt Ihre Reederei Besatzungen, die an solche Tätigkeiten denken?

Ohorn: Wir haben bei der Hamburg Süd über ein Bonusprogramm nachgedacht und darüber diskutiert. Dahinter stehen als Personen Kapitäne, Chief-Ingenieure, der erste Offizier und der zweite Ingenieur.

Wie ist das Ganze ausgegangen?

Ohorn: Wir haben uns gemeinsam gegen ein monetäres Bonusprogramm ausgesprochen, weil wir es als unsere Pflicht ansehen, Energie einzusparen. Wir waren uns bei Hamburg Süd darüber einig, dass wir ja schließlich dafür bezahlt werden, Schiffe sicher und effizient ans Ziel zu bringen. Generell stellte sich aber auch die Frage, wie so ein Bonussystem wirklich gerecht gestaltet werden kann. Darüber haben wir lange intern diskutiert.

Haben Sie noch ein weiteres Beispiel für wirksame Effizienzmaßnahmen?

Ohorn: Ja, die Dieselgeneratoren. Auf diesem Schiff sind fünf davon eingebaut mit einer Leistung von jeweils 4500 kW. Jetzt nehmen wir mal an, die aktuelle Last liegt bei 3600 kW. Ich erlebe es immer wieder, dass dann zwei Generatoren laufen, obwohl sich der Bedarf mit einer Anlage locker decken ließe. Ich fahre einen Generator mit 85 Prozent Last im Betriebsoptimum. Aus undefinierten Sicherheitserwägungen wird bei 80 Prozent aber häufig der zweite zugeschaltet – weshalb dann beide nur noch mit je 40 Prozent Last fahren. Damit ist nichts gewonnen, weil durch den schlechten Wirkungsgrad der Kraftstoffverbrauch exorbitant steigt. Uns geht es darum, die spezifischen Kraftstoffverbräuche zu optimieren.

Dafür müssen Sie messen und das Ganze auswerten. Wie sammeln Sie die Daten?

Ohorn: Wir sammeln mit dem Bluetracker die an Bord verfügbaren Daten ein und stellen diese der Crew zur Verfügung. Es gibt zudem auch eine Auswertung bei uns im Büro, damit wir unterschiedliche Schiffe miteinander vergleichen können. Hier stehen wir allerdings noch am Anfang bei der Evaluierung und Validierung.

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Die Cap San Raphael ist für die Reederei Hamburg Süd unterwegs – die an Bord aufgenommenen Daten werden von einem Bluetracker eingesammelt und der Crew zur Verfügung gestellt. Die Live-Daten auf See werden alle fünf Minuten an die Landmannschaft übertragen. Das Performance-Monitoring-System nimmt dabei etwa 800 Datenpunkte auf – Hamburg Süd setzt dabei auf das I/O-System von WAGO als Kernstück der Datenerfassung im Bluetracker.

Was ist so schwierig daran?

Ohorn: Sie müssen sich erstmal darüber klar werden, ob die Sensoren, die an Bord eingebaut sind, überhaupt dafür geeignet sind, für das, was sie wollen. Spannend ist es auch, wenn die Daten nicht mit dem übereinstimmen, was an Bord angezeigt wird. Wir stellen immer wieder fest, wieviel Arbeit allein die Schnittstellen machen.

Wie gehen die Daten in die Organisation?

Ohorn: Die Live-Daten auf See werden alle fünf Minuten an uns übertragen. Unser Performance- Monitoring-System nimmt dabei etwa 800 Datenpunkte auf. Dieses Tool rüsten wir gerade auf allen Hamburg Süd- und Alianca-Schiffen nach und sind fast durch mit der Arbeit.

Was sind das für Daten?

Ohorn: Wir bekommen etwa einen Überblick zum Beladungszustand des Schiffes, über die Anzahl und Art der Container. Dann liegen uns Motor- und Navigationsdaten vor, anhand derer wir erkennen können, ob die mit der Mannschaft vereinbarten Maßnahmen eingehalten werden. Das ist die Kontrollfunktion, die nicht so gern an Bord gesehen wird.

Wie gehen Sie mit der Skepsis um?

Ohorn: Wir müssen Akzeptanz schaffen, für das, was wir tun – und uns immer klar darüber sein, dass das Schiff autark ist. Daten lassen sich manipulieren, Übertragungen unterbrechen – beides ist aber noch nicht vorgekommen.

Heißt das, die Digitalisierung ist bei Hamburg Süd angekommen?

Ohorn: Die Verfügbarkeit verlässlicher Daten ist ja in allen Wirtschaftsbereichen die Grundvoraussetzung dafür, um in den Genuss von Vorteilen der Digitalisierung zu kommen. Der Bluetracker spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir bekommen die Daten zur weiteren Auswertung ins Büro übertragen, die Besatzung hat den aktuellen Zugriff. Damit hat sie alle Möglichkeiten, sofort zu reagieren, wenn sich irgendwelche Performance-Werte unvorteilhaft entwickeln. Wir wollen mit dem Datentracking erreichen, aktiv reagieren zu können, wenn der Kraftstoff verbrannt wird – und nicht zeitversetzt, wenn er schon weg ist. Die Schiffsbesatzung muss sehen, was zu tun ist. Deshalb ist es so wichtig, Anlagenzustände leichter zu erkennen.

Aber dafür sind Ihre Kollegen ausgebildet ...

Ohorn: Ausgebildet – ohne Frage. Die wissen auch ganz genau, wie die Zusammenhänge funktionieren. Der Arbeitsalltag an Bord führt aber nicht selten dazu, dass man nicht auf alles gleich gut achten kann. Das ist etwas ganz Normales.

Sehen Sie hier Verbesserungen durch Digitalisierung?

Ohorn: Intelligente Systeme sind Tools, die wir der Besatzung an Bord an die Hand geben können, Zustände leichter zu erkennen. Wir schaffen ein Bewusstsein – auch durch die Tatsache, dass von außen noch jemand anderes auf die Daten schaut. Das erweitert den Fokus. Klar muss dabei aber sein, dass wir auf See und im Büro alles Kollegen sind, die das gleiche Ziel verfolgen – nur von anderen räumlichen Standorten aus.

Wo sind bereits heute Grenzen erreicht?

Ohorn: Baulich können wir nicht mehr viel machen. Der Rumpf der Cap San Raphael und ihrer Schwestern ist für zwei Tiefgänge und Geschwindigkeiten mit mathematischen Modellierungen optimiert. Sind andere Fahrprofile gefragt, kann die Form des Wulstbugs verändert werden. Allein über die Trimmung ist aus heutiger Sicht kaum noch eine Verbesserung möglich.

Hannah Ohorn, danke für das Gespräch.

Kurzinfo zur Person

Es ist immer gut, beide Seiten eines Schreibtisches zu kennen. Hannah Ohorn ist als Ingenieurin selbst drei Jahre als Ingenieurin auf den knallroten Containerschiffen zur See gefahren, bevor sie als technische Inspektorin für die Reederei Hamburg Süd wieder an Land ging. Seit 2014 dreht sich beim bekennenden Nordlicht aus der Nähe von Lübeck alles darum, den Schiffsbetrieb effizienter zu gestalten. Dafür hat Hannah Ohorn zunächst Nautik in Bremen studiert und daran das Studium der Schiffsbetriebstechnik angeschlossen.

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