Themen 20. April 2021
Pioniere der modularen Automation

Die WAGO Live SPS, vom 1. bis 3. Dezember 2020, hat Kunden und Partner mitgenommen auf den Weg zu neuen Technologien für die intelligente Fabrik der Zukunft. In kleinen und großen Schritten ging es dabei in Richtung Digitalisierung. Ein Meilenstein bildete die Podiumsdiskussion mit Vorreitern des modularen Anlagenbaus. Vertreter der großen Betreiber Bayer, Clariant, Evonik und Merck zeigten sich überzeugt: Die Zukunft gehört der standard- und herstellerunabhängigen Beschreibung von Prozessmodulen zur effizienten Integration in Automatisierungssysteme.

Das Module-Type-Package (MTP)

Das Modul Type Package (MTP) wurde erstmals entwickelt, um Kommunikations- und Konnektivitätsprobleme in hochadaptiven modularen Anlagen zu lösen. MTP bietet eine standard- und herstellerunabhängige Beschreibung von Prozessmodulen bzw. Package-Units zur effizienten Integration in Automatisierungssysteme. Dieses Konzept gilt als Voraussetzung für die modulare Produktion. In unterschiedlichen Projekten arbeiten Unternehmen wie Bayer, Clariant, Evonik, Merck, Engie, Siemens, WAGO oder Yokogawa gemeinsam an der praktischen Anwendung von MTP-Standards in industriellen Umgebungen.

Betreiber großer Anlagen sehen sich prinzipiell alle mit denselben Herausforderungen konfrontiert: Sie müssen immer flexibler auf Nachfragesituationen reagieren und Produktionskapazitäten sehr schnell anpassen. Prominentestes Beispiel ist die momentane Aufgabe, ausreichende Mengen des Coronaimpfstoffs zu produzieren. Millionen Menschen in kurzer Zeit zu impfen gelingt nur, wenn flexible Prozesse vorhanden sind, wie sie nur durch modulare Konzepte erreicht werden. Das hat die Prozessindustrie zwar schon seit Jahren erkannt, doch die Umsetzung ist nicht einfach.

Der Grundgedanke lautet, dass sich modular statt monolithisch aufgebaute Anlagen schneller und einfacher skalieren lassen. Allerdings funktioniert eine verfahrenstechnische Anlage als Summe von modularen Komponenten nur, wenn auch einheitliche Standards vorhanden sind und von allen Beteiligten gelebt werden. An diesem Ziel arbeiten Gremien wie NAMUR, ZVEI und VDI/VDE seit einigen Jahren intensiv. So beschreibt als Ergebnis beispielsweise die Norm 2658 das Herangehen an eine modulare Automation.

Für mich eröffnen modulare Automatisierung und MTP-Standards die Zukunft für den Wandel in der Prozessindustrie, indem sie die Widerstandsfähigkeit, Flexibilität und Agilität zur Anpassung an ein sich ständig änderndes Umfeld erhöhen

Polyana da Silva Santos, Lead-Engineer Process Control bei Evonik

Strategisches Thema bei WAGO

„Auch wir bei WAGO nutzen diese Grundlagen und helfen somit Anwendern, die Vorteile der modularen Denkweise auch in ihrem Betrieb zu realisieren“, sagt Lukas Dökel. Er ist Global Industry Manager Digital Plant bei WAGO und erklärt: „Das in verschiedenen Arbeitsgruppen entwickelte „Modul Type Package“ (MTP) bietet eine standard- und herstellerunabhängige Beschreibung von Prozessmodulen bzw. Package-Units zur effizienten Integration in Automatisierungssysteme.“ Dieses Konzept gilt als Voraussetzung für die modulare Produktion und ist wichtig, um Kommunikations- und Konnektivitätsprobleme in hochadaptiven modularen Anlagen zu lösen.

Für WAGO ein strategisches Engagement, wie Dökel betont: „Wir werden die Umsetzung des MTP-Standards auch weiterhin begleiten und als Produkt umsetzen.“ Klar sei zudem, dass WAGO die Standardisierung von MTP auf dem Markt weiter mit vorantreiben und helfen wolle, einen weltweiten Standard zu etablieren. „Wir unterstützen die Prozessindustrie heute schon mit passenden Produkten wie Reihenklemmen, Remote I/O, Touch Panels, unterschiedlichen Controllern sowie der richtigen Automatisierungssoftware. Wichtig ist, dass wir in gemeinsamen Projekten die Steine aus dem Weg räumen und Probleme lösen“, beschreibt Dökel die Zusammenarbeit mit den Anwendern.

Konkrete Vorteile aus Betreibersicht

Wie die Vorteile der modularen Automation konkret genutzt werden können und welche Herausforderungen es aus Sicht der großen Anlagenbetreiber noch zu meistern gilt, war auch Thema einer von Dökel moderierten virtuellen Podiumsdiskussion im Rahmen der digitalen und interaktiven Eventplattform „WAGO Live SPS“, vom 1. bis 3. Dezember 2020. Dabei wurde deutlich, dass die Betreiber das Potential der modularen Arbeitsweise vor allem an zwei Stellen sehen: bei der Prozessentwicklung und -umgestaltung.

Beispiel Merck: Hier gibt es viele Produkte mit kurzen Lebenszyklen. Im Umkehrschluss müssen neue Produkte sehr schnell entwickelt und produziert werden. „Wenn ein Produkt am Markt erfolgreich ist, versetzt uns die modulare Arbeitsweise in die Lage, die Kapazitäten durch ein Numbering-up schnell zu erhöhen“, sagt Manfred Eckert, Process-Development Association Director Performance Material bei Merck. Hintergrund ist, dass Beschaffung, Installation und Inbetriebnahme von standardisierten Modulen deutlich schneller passieren kann, als dies bei einem typischen Scale-up möglich ist. Plug-and-Produce, als Ergebnis eines funktionierenden modularen Ansatzes, lautet hier das Ziel.

Und Eckert führt noch einen weiteren wesentlichen Aspekt aus dem pharmazeutischen Umfeld ins Feld: die sehr aufwändigen und langwierigen Genehmigungsverfahren. „Mit modularen Konzepten sind wir in der Lage, die Zulassungsverfahren von heute einem Jahr und mehr auf unter vier Wochen zu verkürzen! Im Rahmen des Orca-Projektes sind wir hierzu auch mit Behörden bereits im Gespräch“, sagt er.

Das MTP wird die Automatisierung von zukünftigen Laboren und Prozessanlagen revolutionieren.

Manfred Eckert, Process Development Association Director Performance Material bei Merck

Schnittstellen definieren

Für Jens Bernshausen, Engineering Manager bei Bayer, gibt es noch einen weiteren wesentlichen Aspekt, aktiv am MTP-Konzept mitzuarbeiten: „Um die Vielzahl der Projekte bei Bayer wettbewerbsfähig abbilden zu können, ist es wichtig, Teilaufgaben extern zu vergeben.“ Zwischen diesen von außen angelieferten Funktionseinheiten müssen seiner Erfahrung nach klare Schnittstellen definiert sein. „Das bedeutet, dass auch die Automatisierungsaufwände gekapselt werden müssen. Dafür hält meines Erachtens das MTP-Konzept eine Lösung bereit, sodass die einzelnen Lieferantenbeiträge im Sinne eines Plug-and-Produce genutzt werden können“, sagt er. Ein Aufwand, der sich lohnen kann. Bernshausen führt als Gegenbeispiel ein Bayer-Migrationsprojekt an, bei dem eine komplette Aspirin-Herstellung ohne Modularisierung auf ein neues System gehoben wurde: „In der Formulierung und Verpackung arbeiten wir hauptsächlich mit Package Units. Hier war es beispielsweise sehr aufwändig, die OPC/UA-Kommunikation zum Leitsystem aufzubauen. Der MTP-Ansatz hätte uns hier viel Arbeit erspart.“ Der Grund, dass dieses Projekt noch nicht mit MTP abgewickelt wurde? „Leider sind die meisten Leitsysteme noch nicht MTP-fähig – aber das ist eine Voraussetzung“, sagt er mit Bedauern.

Skeptiker und Zweifler mitnehmen

Auch Evonik investiert in MTP und ist an zahlreichen Projekten beteiligt: „Für uns bleibt es eine wichtige Aufgabe, diese Konzepte weiter einzusetzen und im Rahmen von Kooperationen weitere Erfahrungen zu sammeln“ sagt Polyana da Silva Santos, Lead-Engineer Process Control bei Evonik. Dabei sei die Technik allerdings nur ein Thema: „Die große Herausforderung, die wir lösen müssen, ist organisatorischer Natur. Wir brauchen Zeit, um Skeptiker und Zweifler mitzunehmen und zu überzeugen. Das dauert sehr lange. Daher lautet meine Empfehlung aus mehreren Jahren Erfahrung: Fangen Sie frühzeitig an! Wir bei Evonik haben das glücklicherweise gemacht und sind jetzt auf einem guten Weg – und unser Team wächst. Das zeigt, das die Akzeptanz mittlerweile da ist“, sagt sie.

Um die Akzeptanz auch in Richtung der Zulieferer zu stärken, betont Michael Pelz, Manager Automatisierung und Digitalisierung bei Clariant: „Wir diskutieren das Thema derzeit mit unterschiedlichen Package-Unit-Lieferanten. Aus den Erfahrungen heraus lautet meine Empfehlung: Nutzen Sie kleinere Projekte, die nicht unbedingt sehr zeitkritisch sind, um ins Gespräch mit den eigenen Lieferanten zu kommen. So klären sich Herausforderungen und Vorteile eines MTP-Projektes für beide Seiten. Wir müssen insgesamt noch mehr in die Breite kommen!“

Ich empfehle den Systemlieferanten, sich heute mit MTP zu beschäftigen, um vorbereitet zu sein für Geschäftsmodelle von morgen.

Norman Südekum, Leiter Branchenmanagement Maschinenbau bei WAGO

Digitale Fabrik

Alle großen Industriezweige sehen die Vorteile der Digitalisierung und setzen sie mehr oder weniger konsequent um. Auf dem Weg in die intelligente und vernetze Produktionswelt der Zukunft unterstützt WAGO Unternehmen dabei, flexibler und sicherer zu produzieren und eine hohe Verfügbarkeit ihrer Anlagen zu gewährleisten.

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