Interview 8. Mai 2018
Beim Smart Building muss ein Mehrwert für den Nutzer herausspringen

Smarte Gebäude müssen die Arbeitseffizienz steigern und für den Nutzer ein optimales Umfeld bieten, das über die eigentliche Funktion eines Wohn- und Arbeitsraums hinausgeht. Ein Interview mit Thomas Müller, dem stellvertretenden Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Automation + Management für Haus + Gebäude

Thomas Müller ist stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbandes Automation + Management für Haus + Gebäude im VDMA. Der gelernte Maschinenbauingenieur ist Mitglied verschiedener deutscher und europäischer Expertengruppen in den Bereichen Smart Buildings, Smart Grid, BIM und Energieeffizienz und wirkt für den VDMA unter anderem bei der Überarbeitung der Richtlinienreihe VDI 3814 „Gebäudeautomation“ mit.

Was macht ein Gebäude zu einem smarten Gebäude?

Thomas Müller: Eine klar umschriebene Definition der Benennung Smart Building lässt sich nur schwer vornehmen. Das ist so ähnlich wie beim IoT – also dem Internet of Things. Das ist meines Erachtens ein Kunstname, der sich gut greifen lässt für Unternehmen, Verbände und die Politik. Smart Buildings sind für mich Gebäude, die für den Nutzer neben optimalen Wohn- und Arbeitsbedingungen weitere Mehrwerte bereithalten. Hierzu wird in Zukunft sicher auch die smarte Verwendung der zur Verfügung stehenden Energiequellen gehören sowie das situationsbedingte Schalten der Verbraucher und Erzeuger in einem Gebäude in Koordination mit dem Smart Grid, dem intelligenten Stromnetz.

Wie wichtig ist Gebäudeautomation dafür?

Müller: Sie ist sicher die Basis. Allerdings sind die Temperatur- und Lüftungsregelung Stand von heute – die Energieeffizienz übrigens ebenfalls. Intelligente Thermostate sind genauso wenig smart wie Präsenzregler. Gebäudeautomation ist die Intelligenz in Gebäuden und die Basis der Energieeffizienz. Um smart zu sein, bedarf es allerdings mehr. Worum es geht, sind die Möglichkeiten, die Automation weiter zu verknüpfen – beispielsweise mit dem Navigationssystem im Auto, dem öffentlichen Nahverkehr oder GPS in Innenräumen. So wie beim Smart Phone werden es Apps sein, die Gebäude smart werden lassen. Und auch hier entscheiden die Nutzer und Betreiber darüber, was sie wollen. Beim Smart Building muss ein Mehrwert für den Nutzer herausspringen. Es geht also um Funktionen, die über die heutigen Aufgaben eines Gebäudes hinausgehen – so wie beim Smart Phone, das mehr kann als telefonieren. Für zukünftige Gebäude wird dies mit in die Planung einfließen. Im Bestand werden Funknetzwerke die Basis sein, um die Intelligenz und das Smarte ins Gebäude zu bekommen.

Gerade in Smart Buildings geht es darum, sich wohl und behaglich zu fühlen – ganz gleich, ob dies im Büro, zu Hause oder im Home-Office ist.

Müssen Smart Buildings anders geplant und ausgeführt werden?

Müller: Wir müssen in Zukunft noch mehr dazu übergehen, den Nutzer eines Gebäudes mit seinen Bedürfnissen in den Vordergrund zu stellen. Entscheidend ist, für ihn ein optimales Umfeld zu gestalten. Daraus lässt sich alles andere ableiten. Gerade in Smart Buildings geht es darum, sich wohl und behaglich zu fühlen – ganz gleich, ob dies im Büro, zu Hause oder im Home-Office ist. Dabei geht es vor allem um den Faktor Mensch. Und genau dieser Punkt macht es notwendig, die Betreiber der Gebäude von Anfang an mit an den Tisch der Projektplanung zu nehmen. Sie wissen schließlich am besten, wo ihr Bedarf liegt. Das dabei die energieeffizientesten Anlagen verwendet werden, ist selbstverständlich.

Funktioniert die integrale Planung bereits?

Müller: Eine integrale Planung, die auch wir seit Jahren fordern, findet immer noch nicht wirklich statt. Kommunikation ist die Basis dafür – und zwar sowohl bei der technischen Vernetzung als auch bei allen an der Planung, Realisierung und dem Betrieb von Gebäuden Beteiligten. Ein interdisziplinärer Ansatz, wie wir ihn in der Fabrikautomation bereits beim Beruf des Mechatronikers sehen, könnte auch dem Hochbau helfen. Indem sich die Planung und der Betrieb eines Gebäudes ändern, entwickeln sich auch die klassischen Berufsbilder wie Architekten, Fachplaner oder spezialisierte Handwerker weiter. Ich hoffe, dass die Grenzen, die wir heute kennen, irgendwann verschwinden.

Ebnet die Neugestaltung der VDI 3814 hier Wege?

Müller: Ich denke ja. Bis dato war die VDI 3814 die originäre Norm für die Gebäudeautomation. Was sich in der Einzelraumregelung in puncto Licht, Temperatur und Belüftung abspielte, dafür gab es die VDI 3813. Die Zusammenlegung der meisten für Gebäudeautomation erstellten VDI-Richtlinien in der neuen VDI 3814 und die Erweiterung um weitere für Planer und Ausführende wichtige Punkte werden deren Arbeit deutlich erleichtern. Wenn wir von einem Zusammenspiel der unterschiedlichen Gewerke sprechen, dann ist diese Zusammenlegung notwendig. Gespannt bin ich vor allem auf den Teil 6 der neu entstehenden VDI 3814 unter der Überschrift „Qualifizierung“. Welche Qualifikation sollten alle am Bau Beteiligten haben? Was sollte ein Bauherr wissen, bevor er mit einem Architekten spricht? Was sollte ein Architekt im Kontakt mit Planern und Fachplanern abbilden können? Dies dürfte auch für alle Schulen und Hochschulen im Bereich der Gebäudeautomation hilfreich sein.

Wird die überarbeitete VDI 3814 auch für die Gebäudeautomation und deren Verwendung im „Building Information Modeling“ (BIM) von Bedeutung sein?

Müller: Ja, denn hier werden die Funktionen der Gebäudeautomation beschrieben und abgebildet, die sich dann im BIM widerspiegeln werden. BIM wird in Zukunft eine digitale Darstellung der physikalischen und funktionalen Eigenschaften eines Gebäudes sein – dessen digitaler Zwilling. Ein Gebäudeinformationsmodell ist eine gemeinsame Wissensquelle für Informationen über ein Gebäude, die über den gesamten Lebenszyklus eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage bildet. Hierbei wird von der frühen Planungsphase über die Realisierung und den Betrieb bis zum Abriss alles dokumentiert.

BIM wird in Zukunft eine digitale Darstellung der physikalischen und funktionalen Eigenschaften eines Gebäudes sein.

Warum wird BIM wichtig?

Müller: Es ist ein intelligenter Prozess, der Bauherren, Architekten, Ingenieuren und Betreibern Informationen und Werkzeuge für effiziente Planung, Entwurf, Konstruktion und Betreiben von Gebäuden und Infrastruktur bereitstellt. Dem Architekten werden hierdurch die Mittel in die Hand gegeben, den Planungs- und Realisierungsprozess im Auge zu behalten, während die Bauausführenden über alle Änderungen frühzeitig informiert werden. Und der Betreiber/Facility-Manager weiß, was in seinem Gebäude verwendet wurde.

BIM ist also auch während der Betriebsphase eines Gebäudes dienlich?

Müller: BIM ist weit mehr als ein dreidimensionales Planungstool, mit dem eine Kollisionsprüfung möglich ist. BIM bietet vielmehr gerade den Betreibern/Facility-Managern große Vorteile, weil sie endlich einen Überblick darüber bekommen, was in ihrem Gebäude im Detail eingebaut und in Betrieb ist. Damit stehen etwa im Reparaturfall alle relevanten Daten zur Verfügung. Das wird dann interessant, wenn zum Beispiel nach Jahren der Austausch von Technik nicht mehr 1:1 möglich ist. Im BIM sind alle Produkte in einem Gebäude mit ihrem exakten Einbauort samt Datenblatt digital hinterlegt. Daraus lassen sich bei anstehenden Modernisierungen sehr gut Rückschlüsse ziehen, welche Leistungsdaten gefragt sind. Damit ist der Weg frei, Sanierungen im Bestand wesentlich zielgerichteter vorzunehmen. Das geht übrigens weiter bis zum Abriss. Denken Sie nur an die Möglichkeit, ähnlich wie beim Urban Mining, Rohstoffe, die in Gebäuden, in Infrastruktur und in Produkten verwendet wurden, systematisch zu erfassen und beim Abriss zurückzugewinnen.

Sie meinen, BIM eröffnet Goldgruben?

Müller: In der Tat! So wie heute in alten Müllhalden jede Menge wertvolle Rohstoffe stecken, haben auch Abrissgebäude ihren Wert. Gerade bei den in der Gebäudeautomation eingebauten Controllern stecken wie in allen IT-Komponenten viele gesuchte Rohstoffe. Mit BIM weiß ich, welcher Stoff welches Rückgewinnungspotential hat. Kupfer liegt da aufgrund der vielen verlegten Leitungen sicher ganz weit vorn. Im besten Fall lässt sich der Abriss über das Wertstoffrecycling finanzieren.

Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

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